Manche dieser Kritikpunkte sind berechtigt, andere erzeugen ein negatives Stimmungsbild von Bürokratie und Verwaltung in Deutschland ohne Berechtigung in der Sache. Zur Verständigung auf eine gemeinsame Grundlage kommt man nicht an der Ausgangsfrage vorbei: Wofür steht eigentlich Bürokratie? Bürokratie steht zu allererst für Rechtsstaatlichkeit und geordnete Verhältnisse in Deutschland. Sie steht für Verlässlichkeit der Bürgerinnen und Bürger in staatliches Handeln, Minderheitenschutz, Einzelfallgerechtigkeit, Willkürverbot und Gleichbehandlung. All diese rechtlichen Verbürgungen können in einem demokratischen Rechtsstaat nur auf der Grundlage von Gesetzen gewährleistet werden.
Dennoch stehen eine vermeintliche Überreglementierung und eine stetig steigende Normenflut im Zentrum der Kritik. In Deutschland besteht in der Tat eine hohe Regelungsdichte. Vorschläge aus dem politischen Raum nach generellen Kürzungen des Vorschriftenbestandes gehen jedoch fehl. Die Kritiker machen es sich hier zu einfach, weil sie eine Festlegung vermeiden, welche Vorschriften im einzelnen überflüssig sind. Wir müssen vielmehr genau hinsehen und Regelungen dort aufheben bzw. unterlassen, wo ihre Notwendigkeit nicht überzeugt. Diesen strategischen Ansatz verfolgt die Bundesregierung mit ihrer im Februar 2003 gestarteten "Initiative Bürokratieabbau", die derzeit 74 Bürokratieabbau-Projekte umfasst.
Mit der Initiative Bürokratieabbau steht erstmalig eine kohärente Gesamtkonzeption für eine strukturelle Entbürokratisierung auf der politischen Agenda Deutschlands. Die spürbare Entlastung von Bürgerinnen, Bürgern und Unternehmen wird systematisch auf den fünf Handlungsfeldern
- Arbeitsmarkt und Selbstständigkeit,
- Wirtschaft und Mittelstand,
- Forschung, Technologie und Innovation,
- Zivilgesellschaft und Ehrenamt,
- Dienstleistungen und Bürgerservice
Mit einer Vielzahl von Erleichterungen bundesrechtlicher Vorschriften, die unlängst im Rahmen der Initiative Bürokratieabbau vom Bundeskabinett verabschiedet worden sind, hat erstmals eine Bundesregierung den Mut aufgebracht, Unternehmen regulativen Freiraum zur Entfaltung von Innovations- und Investitionsfähigkeit zu geben. Hierunter befinden sich eine Reihe von Vorschlägen mit breiter Entlastungswirkung: etwa die Vereinfachung der Veranlagung der Körperschaftssteuer, die Liberalisierung des Gaststättenrechts, die Reduzierung von Prüf- und Aufbewahrungspflichten für Makler und Bauträger sowie die Vereinfachung der Ausnahmegenehmigungen und Erlaubnisverfahren für Großraum- und Schwerverkehr. Vielfach ist die Umsetzung der Projekte jedoch abhängig von der Mitwirkung der Länder; auch dies wird in der öffentlichen Diskussion um Abbau von Bürokratie häufig vernachlässigt.
Forderungen nach generellen Befristungen von Gesetzen sind ebenso wenig ein Allheilmittel gegen die "Normenflut". Sie verkennen nicht nur die Einbußen an Beständigkeit und Verlässlichkeit von Gesetzgebung und Verwaltungshandeln und damit an Rechtssicherheit der Bürger. Sie führen vielmehr auch zu einem nicht unerheblichen bürokratischen Mehraufwand bei der Überprüfung der Weitergeltung von Vorschriften. Ganz zu schweigen davon, dass Befristungen bei Umsetzungen von Richtlinien der Europäischen Kommission in nationales Recht rechtswidrig sind. Auch hier führen nur einzelfallbezogene Lösungen zu sach- und fachgerechten Ergebnissen. Die Bundesregierung misst demzufolge im Rahmen ihrer Gesetzgebungsarbeit dem Notwendigkeitskriterium eine besondere Bedeutung zu. So sind in der ersten Legislaturperiode der rot-grünen Bundesregierung zwischen 1998 und 2002 trotz Regierungswechsel weniger Gesetze verabschiedet worden als in der letzten Legislaturperiode der CDU/ CSU-FDP geführten Regierung. Von einer "Regelungswut" der rot-grünen Bundesre-gierung kann gerade auch im Vergleich mit den Oppositionsparteien keine Rede sein. Die Bundesregierung hat in der 15. Legislaturperiode 178 Gesetzesvorlagen in den Bundestag eingebracht; die Opposition aus CDU/ CSU und FDP immerhin allein 64 dabei sind die seitens der Opposition über den Bundesrat eingebrachten Entwürfe nicht einmal eingerechnet (Stand 15.06.2004). Und dabei dürfen wir nicht vergessen: Gesetze sind das unverzichtbare Handlungsinstrument der gewählten Regierungsmehrheit, um den Wählerauftrag zur Reformpolitik in die Wirklichkeit umzusetzen!
Das kürzlich vom Bundeskabinett verabschiedete Eckpunktepapier zur Modernisierungsstrategie der Bundesverwaltung setzt diesen Prozess fort. Das Programm "Moderner Staat" heißt, Verwaltung modernisieren, Bürokratie abbauen, Internet nutzen! Unter dem Dach dieses Programms werden die Schwerpunkte Modernes Verwaltungsmanagement, Bürokratieabbau und E-Government gebündelt. Sie bilden drei Säulen, deren Stärken in ihrer Verbindung liegen. Das moderne Verwaltungsmanagement legt hierbei den Schwerpunkt auf die Effektivität des Verwaltungshandelns und die Dienstleistungsorientierung:
Stellenkürzungen und Behördenschließungen stehen nicht im Mittelpunkt rot-grüner Verwaltungsmodernisierung. Denn eine Behörde, die Stellen abbaut, ist noch keine moderne Verwaltung, und weniger Behörden ergeben noch keinen modernen Staat. Gleichwohl hat die Bundesregierung wo erforderlich den Bestand der Bundesbehörden verschlankt. Die Zahl der Bundesbehörden ist seit 1998 von 654 um 121 Behörden, also um rund ein Fünftel, reduziert worden. Dabei ist selbstverständlich, dass dieser Prozess nicht in gleichem Maße fortschreiten kann. In demselben Zeitraum ist der Stellenbestand der Bundesverwaltung um nahezu 27.000 Stellen gekürzt worden. Das wiedervereinigte Deutschland wird damit heute von weniger öffentlichen Bediensteten verwaltet als noch die alte Bundesrepublik. Dies ist eine Rationalisierungsleistung, die sich auch im Vergleich zur Wirtschaft sehen lassen kann!
Der Bundesregierung geht es vor allem um Effizienzsteigerung von Verwaltungsabläufen: Verwaltungsmodernisierung und Bürokratieabbau heißt deshalb primär Prozessoptimierung durch den Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologie. Wegweisend sind hier die eGovernment-Initiativen der Bundesregierung Bund-Online 2005 und Deutschland-Online. Den Bürgerinnen und Bürgern sollen damit alle internetfähigen Dienstleistungen der Bundesverwaltung bis 2005 online zur Verfügung gestellt werden. Der Bund bietet daher den Ländern und Gemeinden eine strategische Internetpartnerschaft an, um die Verwaltungsmodernisierung ebenenübergreifend und pragmatisch voranzubringen. So ebnet die Bundesregierung der Verwaltung den Weg in die Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts.
Die genauere Betrachtung zeigt, dass Bürokratie und Verwaltung nach wie vor vertrauensbildende Faktoren unseres politischen Gemeinwesens sind.
Autor: Fritz Rudolf Körper, MdB, parlamentarischer Staatssekretär
Quelle: vorwärts, 29.10.2004