Alternativen nicht ausreichend geprüft
Die Richter hatten im Verlauf der Anhörung betont, dass sie die dramatische Lage des Landes anerkennen, auf deren Grundlage die Reform 2006 auf den Weg gebracht worden sei. Demnach wird die Bevölkerungszahl bis 2020 von 1,7 auf 1,5 Millionen abnehmen. Allerdings müssten "Kreise so gestaltet sein, dass es den Kreistagsabgeordneten möglich und zumutbar ist, eine ehrenamtliche Tätigkeit auszuführen", sagte Gerichtspräsident Gerhard Hückstädt. Bereits jetzt seien Freiberufliche und Selbstständige wegen der beruflichen Belastungen in den Kreistagen unterrepräsentiert. Zudem kritisierten die Richter den mangelnden Abwägungsprozess im Gesetzgebungsverfahren. Es sei lediglich das Vier- oder Fünf-Kreise- Modell diskutiert worden. Es sei fraglich, ob in den geplanten Großkreisen der Aufbau der Demokratie von unten nach oben möglich sei. Schonende Alternativen seien nicht tiefgründig geprüft worden.
Kreise haben Recht auf Selbsverwaltung
Nach Ansicht der Antragsteller verstößt die Umwandlung in Großkreise gegen das Recht auf kommunale Selbstverwaltung. In die neuen Kreise sollten auch die bestehenden sechs kreisfreien Städte eingegliedert werden. Wegen des engen Zusammenhanges mit der Funktionalreform, die eine Aufgabenübertragung von der Landesebene auf die Kreise vorsieht, sei das Verwaltungsreformgesetz bis auf wenige Teile gegenstandslos, entschieden die Richter. Nicht beanstandet wurden zum Beispiel die Änderungen des Sparkassengesetzes, des Finanzausgleichgesetzes und das Wassergesetz.
Timm: "Typisches deutsches Provinzurteil"
Die SPD-Landtagsfraktion bedauerte die Entscheidung. Das Urteil zeichne ein antiquiertes Bild der kommunalen Selbstverwaltung, das schon lange nicht mehr der Realität entspreche, sagte der Fraktionsvorsitzende Volker Schlotmann. "Die Reform ist ein mutiger Schritt gewesen, den die Richter leider nicht mitgehen wollten." CDU-Landeschef Jürgen Seidel kündigte nach der Ablehnung der Verwaltungsreform kurzfristig Gespräche mit der SPD an. Nach dem Richterspruch bestehe nunmehr die Möglichkeit, zügig zu handeln, sagte der stellvertretende Ministerpräsident. Er verwies auf den Koalitionsvertrag, wonach beide Parteien in Abhängigkeit von der Gerichtsentscheidung zeitnah auf verfassungsgemäße Neuregelungen hinwirken wollen. Es bleibe Ziel, effektive Verwaltungsstrukturen, die den Verfassungsgrundsätzen entsprächen, mit einer bürgernahen und kosteneffektiven Verwaltung zu vereinbaren. Ex-Innenminister Gottfried Timm (SPD) kritisierte die Entscheidung der Richter. "Es ist ein typisches deutsches Provinzurteil und nur zu verstehen auf dem Hintergrund der deutschen Kleinstaaterei", sagte er, Timm gilt als Vater des nun gescheiterten Reformentwurfs. Sein erster Vorschlag hatte sogar nur vier Großkreise vorgesehen.
Schnelles Handeln gefordert
Der FDP-Landesvorsitzende Christian Ahrendt wertete das Votum des Gerichts als eine "schallende Ohrfeige" für Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD). Rügens Landrätin Kerstin Kassner (Linke) bezeichnete die Entscheidung in einer ersten Reaktion als einen "Sieg für die kommunale Selbstverwaltung". "Wir halten weiter am Landkreis Rügen fest. Das Urteil hat unsere Haltung bestätigt", sagte sie. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistags, Hans-Günter Henneke, nannte die Entscheidung des Landesverfassungsgerichts einen "guten Tag für die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland". Die Wirtschaft bedauert dagegen das Scheitern der Reform. Die Vereinigung der Unternehmensverbände appellierte an die Verantwortlichen, "unverzüglich eine neue, verfassungsgemäße und zukunftsfähige Lösung zu erarbeiten". Die wirtschaftliche, demographische und technische Entwicklung erfordere, dass das Land in der Verwaltung moderner werde.
Quelle/Source: NDR, 26.07.2007