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Friday, 2.05.2025
Transforming Government since 2001
Das Potsdamer Institut für E-Government (ifg.cc) wird in diesem Jahr zehn Jahre alt. Carsten Köppl sprach mit dem Wissenschaftlichen Direktor des Instituts, Prof. Dr. Tino Schuppan, über Hypes, Techniklastigkeit und die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Verwaltungstransformation.

Behörden Spiegel: Ihr Potsdamer Institut wird 2011 zehn Jahre alt. Was hat sich in den Jahren getan?

Schuppan: Die Entwicklung unseres Instituts muss man im Kontext der Gesamtentwicklung von E-Government in Deutschland sehen. Hierbei sind in Deutschland nicht nur bei der Rhetorik gewisse Änderungen festzustellen: weg von IT-lastigen Einzelvorhaben hin zu einem Denken in veränderten Prozessen und Strukturen und hin zu Infrastrukturen. Das Springen von Leuchtturmprojekt zu Leuchtturmprojekt mit der krampfhaften Suche nach der einen “Killerapplikation“, die alles liefern soll, gibt es bei den Aufgeklärten nicht mehr.

Heute sieht man E-Government zunehmend als Querschnittsthema und als Transformationsinstrument für die Verwaltung. Die daraus resultierende Sprengkraft für überkommene Institutionen rückt zunehmend ins Blickfeld. Allerdings sind die Umsetzungserfolge in dieser Richtung noch eher bescheiden. Ansonsten sind die üblichen Hypes und Wellen zu beobachten, wie z. B. aktuell rund um die Begriffe Web 2.0 oder Social Media, die nicht selten – so wie sie vielfach im Mainstream diskutiert werden – von Kernfragen ablenken.

Änderungen in Bezug auf unsere Institutsarbeit kann man ebenfalls feststellen: Die Themen und Projekte wurden anspruchsvoller und differenzierten sich aus. Wir sind deutlich mehr Leute geworden. Wir spüren aber auch, dass E-Government in den Sozial- und Verwaltungswissenschaften an den Universitäten eine zu geringe Rolle spielt. Viele Professoren haben sich ja einst ganz bewusst für ein sozialwissenschaftliches Fach entschieden, um der Technik aus dem Weg zu gehen. Warum sollten sie das jetzt ändern? Da fehlen häufig die notwendige Offenheit und das Verständnis für das Thema. Dabei geht es gar nicht primär um die Technik an sich, sondern darum, bei der eigenen Forschung und Lehre IT nicht einfach auszublenden, sondern systematisch mit einzubeziehen.

Behörden Spiegel: Wie hat sich während dieser Zeit die Ausrichtung der von Ihrem Institut ausgeführten Projekte geändert?

Schuppan: Die Projekte sind insgesamt anspruchsvoller geworden. Die erste Welle war sehr stark auf Onlineanwendungen fokussiert. Dahinter steht im Grunde nichts anderes als eine einfache Automatisierungsvorstellung aus den 1970er-Jahren. Für uns geht es aber schon immer um Kooperation, oder wie es neudeutsch heißt: Kollaboration, innerhalb des Staates, aber auch zwischen Staat und Gesellschaft. Eine wesentliche Frage ist heute: Wie kann die Kooperationsrendite von E-Government eingestrichen werden, ohne grundlegende Verwaltungsprinzipien auszuhebeln oder wie können diese angepasst werden?

Wir beobachten einen hohen Bedarf an wissenschaftlicher Begleitforschung und auch empirischer Forschung. Das machen wir auch. Es reicht heute nicht mehr aus, eine IT-Architektur z. B. für den Einheitlichen Ansprechpartner der Dienstleistungsrichtlinie vorzuschlagen, man muss auch sagen, wie es in der Verwaltungsrealität funktionieren kann, funktioniert oder eben nicht funktioniert. Wir haben da eine unglaubliche Naivität in der praktischen Umsetzung gesehen, die nicht gerade von hoher Verwaltungskenntnis einiger Beteiligter sprach, um es diplomatisch auszudrücken.

Wir müssen auch davon wegkommen, die Dinge ausschließlich mit der Jura- oder Informatik-Brille zu sehen. Es gibt das ganze Thema der Gestaltungs- und Umsetzungsforschung im organisatorischen Bereich von E-Government, worauf unser Institut sich spezialisiert hat.

Behörden Spiegel: Sie sagten gerade, Hypes und Wellen beeinträchtigen die langfristig gesetzten Strategien; sind sie sogar manchmal kontraproduktiv?

Schuppan: Das kann sein. Was wir heute beobachten können ist, dass die Verwaltung überhäuft wird mit neuen Ideen und es nicht immer klar ist, was tatsächlich modernisierungsrelevant ist. Bevor sich eine Idee überhaupt durchsetzen kann und zur operativen Verwaltungsebene durchsickert, kommt schon wieder eine neue Idee, die vielleicht sogar konträr dazu ist. So sind heute Verwaltungen immer mehr von einer vermeintlichen Dynamik getrieben, die nicht selten operative Hektik erzeugt, ohne dass immer eine Vorstellung darüber besteht, wohin der Weg führt.

Hierdurch besteht auch die Gefahr, dass wichtige bisherige Themen aus dem Blickfeld geraten und auch nicht mehr ernst genommen werden, obwohl sie vielleicht eine viel höhere Modernisierungsrelevanz haben als der gerade aktuelle Hype.

Open Government löst beispielsweise nicht die Notwendigkeit der Prozessorientierung, wie manchmal der Eindruck vermittelt wird. Die Folge der schnellen Themenabfolge: Eine echte Modernisierung bleibt aus. Von daher wünsche ich mir manchmal mehr “aufmerksame Gelassenheit“.

Behörden Spiegel: Letztes Jahr hat sich der “IT-Planungsrat“ gebildet. Das klingt erstmal techniklastig. Hätte es nicht besser eines Verwaltungspolitischen Planungsrates bedurft, wie Prof. Klaus Lenk vorschlug?

Schuppan: Es kommt im Wesentlichen darauf an, was der IT-Planungsrat inhaltlich tatsächlich macht. In jedem Fall bedarf es einer verwaltungspolitischen Sicht auf E-Government. Wie soll der Staat zukünftig funktionieren? Wie sollen die Ebenen zusammenarbeiten? Wie sollen die notwendigen Kompetenzen in die Verwaltung einfließen und aufgebaut werden? Welche Rollen sollen zukünftig die Ebenen übernehmen? Wenn der IT-Planungsrat nicht nur ein bloßes technizistisches Interoperabilitätsgremium sein will, wird er um diese wichtigen verwaltungspolitischen Fragestellungen nicht herum kommen, wie sie Klaus Lenk formuliert hat.

Behörden Spiegel: Sie haben auch mal ein Zentrum für Verwaltungstransformation und E-Government ins Gespräch gebracht.

Schuppan: Ja, weil es Stellen bedarf, wo institutionalisiert über zukünftiges Regieren und Verwalten mittels Informationstechnik nachgedacht wird – und das frei von unmittelbar nachfrage- und interessengetriebener Auftragsforschung.

Was ich in vielen Projekten sehe ist, dass Informatiker allein durch ihr Tun de facto darüber entscheiden, wie zukünftig regiert und verwaltet wird, indem sie die Systeme designen und damit massiv Einfluss auf Institutionen nehmen. Ihnen sind die Auswirkungen ihres Handelns vielfach auch gar nicht bewusst, weil es nicht ihre Domäne ist. Dann entstehen eben Dinge in einer Form, die aus verwaltungspolitischer Sicht kaum wünschenswert sind.

Die tatsächlichen Probleme, die anstehen, sind massiv: Wir sehen in ganz vielen Projekten, dass immer wieder die gleichen Irritationen über grundlegende Verwaltungsprinzipien auftauchen, die bedroht sein könnten, wie Zuständigkeit, Kompetenzen, Verantwortung, Territorialität, Ressortprinzip etc. Was machen wir mit unserem bestehenden Institutionengebäude? Wie wollen wir es weiter nutzen, wandeln, oder dienen gar die alten Institutionen schon in der Praxis neuen Zwecken? Nur die Beantwortung dieser Art von Fragen rechtfertigt es eigentlich, von einer “Transformation“ zu sprechen, weil der Begriff auch so inflationär gebraucht wird. Institutionen können sich durch E-Government erschöpfen oder revitalisiert werden; da ist Forschung gefragt.

Man kann gut erkennen, dass bisherige Bauprinzipien der Verwaltungsorganisation und teilweise der Staatsorganisation zu IT-inspirierten Verwaltungsmodellen und der bisherigen Verwaltungskultur kaum kompatibel sind, sodass es neuer Lösungen und Lösungswege bedarf. Es geht ums Eingemachte und genau das ist in der traditionellen Politik- und Verwaltungswissenschaft noch nicht hinreichend angekommen.

Behörden Spiegel: Ihr Institut forscht auch international und ist gut vernetzt. Wo ist Deutschland im internationalen Vergleich gut aufgestellt?

Schuppan: Aktuell haben wir in einer umfangreichen empirischen Studie für das BMI herausgefunden, dass Deutschland mit der Einheitlichen Behördennummer 115 im europäischen Vergleich gut dasteht. Aber Deutschland ist weniger stark beim Vermarkten und Transfer von solchen Lösungen, da sind andere Länder viel besser. In einigen Bereichen hat Deutschland viel zu bieten: Standardisierung, Prozessketten oder Sicherheit.

Auch den Föderalismus, der gemeinhin als Hemmschuh für E-Government betrachtet wird, würde ich eher als Vorteil sehen. Bezogen auf das Beispiel der Einheitlichen Behördenrufnummer ist zu erkennen, dass Deutschland besser dasteht als manche zentral organisierte Staaten, wie beispielsweise Frankreich. In Deutschland ist bei D115 – zumindest bei denen, die D115 umgesetzt haben – die ebenenübergreifende Kooperation gut gelungen. International ist natürlich klar, dass Länder wie Südkorea, Singapur oder andere asiatische Länder stark und schnell voranschreiten und E-Government als strategisches Thema sehen und massiv ihre Strategien und Lösungen exportieren. Dies ist dort auch Teil der Wirtschaftsförderung für die lokale IT-Industrie. Man kann das gut oder schlecht finden; nur: Es findet gegenwärtig statt und Deutschland schaut tatenlos zu, wenn von den asiatischen Ländern E-Government-Systeme und -Services bis in unsere direkten Nachbarländer, z. B. Polen, hinein exportiert werden. Warum macht das Deutschland nicht? Wir sind doch (noch) eine Exportnation?

Behörden Spiegel: Gibt es, neben dem Export von E-Government-Lösungen, noch weitere Bereiche, in denen Deutschland noch lernen kann?

Schuppan: Ja, z. B. bei einer Innovations- und Fehlerkultur. Wir sollten ein stückweit offener sein, wie man Problemlösungen entwickelt und diese dann auch umsetzt. Da sehe ich in anderen Ländern einen weniger perfektionistischen Ansatz und mehr “Trial and Error“.

Die Dienstleistungsrichtlinie wurde zwar in der Praxis z. T. mit hoher technischer und juristischer Akribie umgesetzt, jedoch ohne irgendeine nennenswerte Wirkung zu erreichen. Die Akteure auf der Umsetzungsebene haben vielfach nicht verstanden und verinnerlicht, was sie da umsetzten und was das kulturell bedeutet. Theoretisch kann man das gut erklären. Alte Denkmuster und Institutionen wirken fort, auch wenn auf sie neue Modelle aufgepfropft werden. Die Wirkung verpufft dann oder ist sogar gegenteilig: sie führt zu nicht-intendierten Effekten. Manche Juristen und Informatiker wundern sich dann, warum die neue Lösung, die doch so viele Vorteile bringt, nicht in der Praxis wirkt und sie keiner haben will. Veränderung lässt sich eben nicht gesetzlich verordnen. Das kann man durch reflektierte verwaltungswissenschaftlich angeleitete Forschung erklären und auch vermindern, wenn man die richtigen Schlussfolgerungen zieht. Es war absehbar.

Da wurde ein riesiger Popanz mit vermeintlich ambitionierten Techniklösungen, Anstaltsgründungen o. ä. aufgebaut, aber die organisatorische und verwaltungskulturelle Einbettung fehlt bis heute. Deshalb funktioniert die Konstruktion so auch nicht, selbst wenn alles optimal gestaltet wäre. Es mangelt an “Skill“ und “Will“.

Behörden Spiegel: Wir haben jetzt viel darüber gesprochen, was in den letzten zehn Jahren war. Was kommt denn in den nächsten zehn Jahren?

Schuppan: Technik und dazugehörige Organisationsänderungen sind gestaltbar. Hier kann die Wissenschaft einen Beitrag leisten und tragfähige Zukunftsszenarien zeichnen. Jetzt freuen wir uns über Web 2.0 und Mashups, Apps und was weiß ich, aber möglicherweise kommt eine Zeit, in der das überhaupt nicht mehr beliebt ist, wo die Informationsüberflutung so stark ist, das wir uns mit Freude an Spam zurückerinnern, nicht zuletzt weil dieser als solcher zu erkennen war.

Andererseits kann man sich auch gut vorstellen, dass mit IT so viel möglich ist, dass wir einen elektronischen Umverteilungsstaat oder einen Wohlfahrtsstaat anderer Couleur bekommen. Das würde passieren, wenn die Forderungen an den Staat immer größer werden, wenn er immer mehr Aufgaben übernehmen soll, weil es eben mit IT möglich ist. IT ist kontingent, d. h. es ist vieles möglich und vieles was heute ist, hätte auch anders sein können. Welche Werte wir in E-Government hineinlegen, hängt von verwaltungspolitischen Entscheidungen ab. Das wird zu wenig gesehen.

In jedem Fall brauchen wir ein robustes Staatsgebilde. Die Finanzkrise und leider auch die aktuellen Krisenereignisse in Japan zeigen, dass der Staat in einer sehr wesentlichen Funktion – gesellschaftliches Überleben sichern – die Letztverantwortung innehat. Wir müssen einen Staat erhalten und ggf. umbauen, der in der Lage ist, diese Letztverantwortung zu übernehmen, der die Kapazität dafür hat und krisentauglich ist. Das ist eine Frage, die sich mit oder ohne IT stellt, nur kann das mit IT anders erreicht werden.

Behörden Spiegel: Man hat den Eindruck, dass viele Angst vor einem digitalen Staat haben, der in der Lage ist, immer mehr Informationen über seine Bürger zu sammeln. Wird diese Skepsis irgendwann ein Hemmschuh für die Verwaltungsmodernisierung?

Schuppan: Schauen Sie sich ELENA an: die Grundarchitektur dafür ist bereits im Jahr 2002 konzipiert worden. Hätte man zu dieser Zeit eine Zukunftsvision gehabt, wie zukünftig Daten gesammelt und ausgewertet werden sollen und können, hätte man sich das Gezerre und vor allem die Kosten jetzt sparen können. Von daher ist die Frage: Wie designt man solche Systeme und wie kommuniziert man sie?

Ähnliches gilt auch für den neuen Personalausweis. Wenn ich eine Bahncard 100 bestelle, dann bekomme ich ein schickes schwarzes Kästchen aus Samt, das sieht werthaltig aus. So hätte man das mit dem Personalausweis auch machen können. Man muss das anders kommunizieren: Es müssen der Nutzen und die Vorteile viel stärker kommuniziert werden, auch, um die Angst zu nehmen. Wichtig ist auch, Transparenz über Wahlmöglichkeiten herzustellen, die Bürger haben, aber auch die Folgen verdeutlichen, die sich daraus ergeben. Das muss alles kommuniziert werden. Eine Kommunikationsstrategie mit tragfähigen Nutzungsszenarien ist im E-Government mindestens genauso wichtig wie die Lösung selbst, wie z. B. der neue Personalausweis. E-Government braucht eine neue Verpackung! Gehen Sie mal in eine beliebige Stadtverwaltung und lassen sich erklären, was man mit dem nPa alles machen kann. Wie viele Mitarbeiter in einer Meldebehörde sind auskunftsfähig und können Sie überzeugend beraten? An solchen Punkten fehlt es eben.

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Zehn Jahre IfG.CC – zehn Jahre E-Government-Forschung aus Deutschland

Vor zehn Jahren wurde im Rahmen eines Forschungsprojektes an der Universität Potsdam das IfG.CC als Kompetenzzentrum für E-Government gegründet. Aus diesem Anlass veranstaltet das IfG.cc am 22. Juni eine Jubiläumsveranstaltung in Potsdam. In einem “reflektierten Rückblick nach vorn” soll Bilanz gezogen werden und der Beitrag der Forschung zur Umsetzung von E-Government in der Praxis diskutiert werden.

Die Key Note hält Cornelia Rogall-Grothe, Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern.

Weitere Referenten sind u. a.: Prof. Dr. Klaus Lenk (Universität Oldenburg/IfG.CC), Matthias Kammer (Vorstandsvorsitzender, Dataport), Martin Schallbruch (IT-Direktor des Bundes, Bundesministerium des Innern), Cornelius Everding (CPIO, Ministerium des Innern des Landes Brandenburg), Prof. Dr. Martin Brüggemeier (HTW Berlin) und Prof. Dr. Hermann Hill (DHV Speyer).

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Autor(en)/Author(s): Carsten Köppl

Quelle/Source: Behörden Spiegel, April 2011, S. 19

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