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Freitag, 17.05.2024
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Ein jüngst im Internet aufgetauchtes internes EU-Papier zeigt die unterschiedlichen Positionen auf. Anfang August sandte die im EU-Rat [DG H III] angesiedelte "Multidisziplinäre Arbeitsgruppe Organisiertes Verbrechen" einen Fragebogen zur Frage der Speicherung von Verbindungsdaten an sämtliche Mitgliedsländer aus. Die aufschlussreichen Antworten wurden jetzt auf einer holländischen Site publik. Auffallend: Im Gegensatz zu etlichen anderen Ländern antwortete Deutschland ausgesprochen differenziert und tendenziell skeptisch gegenüber einer EU-weiten verbindlichen Regelung.

Die Aufregung war groß, als sich der Rat der Europäischen Union unter dem Vorzeichen der Terroranschläge in den USA für lockerere Bestimmungen in der Richtlinie "über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation" aussprach. Demnach sollten Verbindungsdaten künftig "zum Schutz bestimmter wichtiger öffentlicher Interessen in Bezug auf die Sicherheit" während "einer begrenzten Zeit" aufbewahrt werden.

Trotz massiver Proteste von Datenschützern, Bürgerrechtlern und Teilen des EU-Parlaments wurde die Datenschutzdirektive der EU Ende Mai 2002 verändert und dann vom Ministerrat verabschiedet. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Richtlinie jedes Speichern von kommunikationsbezogenen Daten unterbunden, sofern diese nicht für Abrechnungszwecke benötigt werden.

Meist würde bindende Regelung begrüßt

Offensichtlich wollte sich der EU-Rat im Sommer 2002 einmal einen Überblick über den Status quo in den einzelnen Mitgliedsländern verschaffen und die Bereitschaft zur Zwangsdatenspeicherung ausloten. Die im Rat angesiedelte "Multidisziplinäre Arbeitsgruppe Organisiertes Verbrechen" schickte ein öffentlich zugängliches Questionaire aus . Darin wurden sieben Fragen zu den Themenkomplexen "Legislative Aspekte", "Praxis und Erfahrungen", "Dialog mit der Industrie" und "Perspektiven" aufgelistet.

In dem mit 16. September 2002 datierten "Room Document No.7" (General Secretariat of the Council DG H - Justice and Home Affairs) hat die "Multidisziplinäre Grupp" nun die Stellungnahmen der Mitgliedsländer fein säuberlich aufgelistet. Bis auf Griechenland, Luxemburg und Portugal können die übermittelten Länderpositionen jetzt eingesehen werden. Ob eine Veröffentlichung dieses internen Papiers jemals geplant war, sei einmal dahingestellt. Fakt ist, dass es irgendwie in die Hände der niederländischen Gruppe Bits of Freedom und somit an die Öffentlichkeit gelangte.

Während Länder wie beispielsweise Großbritannien (eindeutig) und Österreich (tendenziell) eine "bindende Regelung, in Form eines EU-weiten Rahmenentscheids" begrüßen würden, fiel die Antwort der deutschen Vertreter in besagter EU-Arbeitsgruppe wesentlich zurückhaltender aus. Die deutsche Regierung könne die Frage nach einer EU-weiten bindenden Regelung erst dann beantworten, wenn der Bedarf auch wirklich bewiesen werde. Wörtlich heißt es:

"The Federal Government will only be able to answer the question of whether it is desirable to create EU-wide framework regulations covering these issues if it is proved that there is a need for regulation at EU level because of substantiated shortcomings in cross-border law enforcement caused by differences in national provisions. In addition, the Federal Government must first determine whether and to what extent it is actually necessary, and permissible pursuant to German constittional law, to require teleservice providers and suppliers of telecommunications services to retain traffic data."

An der deutschen Stellungnahme fällt zudem der Hinweis auf, dass sich die Regierung in der Frage der Datenspeicherung an Entscheiden des deutschen Bundesverfassungsgerichts orientieren werde. Weiter ließen es sich die deutschen Kommentatoren nicht nehmen, die Notwendigkeit einer Ausbalancierung zwischen den divergierenden Interessen von Sicherheitsbehörden und jenen der Wirtschaft sowie jenen der Bürger, die ein Recht auf Schutz der Privatsphäre hätten, zu betonen.

Je länger, desto besser

Diese differenzierte Haltung mag für eine Selbstverständlichkeit gehalten werden. Die Durchsicht etlicher anderer Länder-Kommentare enthüllt allerdings anderes. Die Verfasser einiger Stellungnahmen scheinen schlichtweg die Bürgerrechte in ihrem eigenen Land vergessen zu haben. Recht salopp ging beispielsweise Italien die Sache an. So heißt es etwa, im Sinne der Verbrechensbekämpfung gelte der Grundsatz: "Je länger Verbindungsdaten gespeichert würden, desto besser." Freilich erkannten auch die Italiener, dass dies in der Praxis unmöglich ist. Nichts desto trotz sprachen sich die Vertreter Italiens für eine Harmonisierung der Gesetzgebung in der EU aus. Außerdem sollte der Informationsaustausch zwischen den Behörden der einzelnen Mitgliedsstaaten erleichtert werden.

Sehr ausführlich ging Deutschland auf die Bedenken der Wirtschaft ein. Die Provider würden überbordende Kosten befürchten. Tatsächlich warnten verschiedene Unternehmen, wie etwa AOL, im Zuge der deutschen Diskussion vor den finanziellen Auswirkungen. Selbst derartige Verweise auf die Ressentiments der Wirtschaft scheint nicht allen Stellung nehmenden Parteien wichtig erschienen zu sein. So erklärte etwa Österreich, eine "grundsätzliche Bereitschaft" zur Einführung einer Datenspeicherpflicht von Seiten der Internetprovider festgestellt zu haben. An einer derart eindeutigen Positionierung darf allerdings gezweifelt werden. Gerade in Österreich hatten sich Provider und betroffene Telekom-Unternehmen in den letzten Monaten durchaus lautstark gegen überbordende Begehrlichkeiten von Sicherheitsbehörden verwahrt.

Die Frage der Verhältnismäßigkeit beziehungsweise einer "Kosten-Nutzen"-Rechnung einer Zwangsdatenspeicherung, wie sie dem EU-Rat vorschwebt, wurde in den wenigsten Länderkommentaren ausführlich behandelt. Dabei hatten Kritiker immer wieder am Nutzen für die Verbrechens- und im speziellen für die Terrorismusbekämpfung gezweifelt. So meinte etwa Marco Cappato, Abgeordneter des Europaparlaments und Berichterstatter für die umstrittene Datenschutzrichtlinie, dass eine Datenspeicherung den Strafverfolgern kaum wirklich nutzen würde: "Die Schwäche der Behörden bei der Terrorismusbekämpfung besteht weniger darin, dass sie über zu wenig Daten verfügen, denn darin, sie auszuwerten."

Quelle: Telepolis

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