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Friedemann Mattern: Internet der Dinge nicht den Informatikern überlassen

Bedenken gegenüber biometrischen Pässen, RFID-Technologie und Teleüberwachung, geäußert etwa von Datenschützern, sind Angstmacherei, auf die man nicht hereinfallen sollte, sagte Bundesinnenminister Otto Schily beim Symposium "Computer in der Alltagswelt - Chancen für Deutschland" in Berlin. Die genannten Technologien dienten nicht dazu, Bürger zu überwachen oder zu unterdrücken, sondern ihre Sicherheit zu erhöhen. So sei das unerlaubte Auslesen von RFID-Chips in Pässen unmöglich, die von Kritikern aufgestellten Szenarien schlichter Unsinn, die von Unkenntnis zeugten, fuhr Schily fort. Die Veranstaltung, bei der Schily sprach, war organisiert von "acatech - Konvent für Technikwissenschaften der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften". Schily, von den Veranstaltern als "Deutschlands oberster Datenschützer" angekündigt, verwies auf die führende Stellung deutscher Unternehmen in der Sicherheitstechnik, die durch Bedenken wie die genannten nicht gefährdet werden dürfe.

Viele Unternehmen versäumten auf diesem Gebiet Chancen, obwohl die Bundesregierung frühzeitig Potenziale dieser Technik erkannt habe und sie auch einsetze, sagte der Innenminister in seiner Rede, die unter dem Titel " Mit Sicherheit innovativ " stand. So würden die RFID-Chips, die in den Eintrittskarten zur Fußball-WM 2006 in Deutschland eingesetzt werden sollen, nicht nur Name, Geburtsdatum und Ausweisnummer der Karteninhaber speichern, sondern auch deren favorisierte Mannschaft. So können die Fans bereits beim Betreten des Stadions sortiert werden, erklärte Schily. Wichtig sei, dass Unternehmen auf dem Feld der Sicherheitstechnik tätig würden und den Markt erobern. Der Staat könne nur den Boden dafür bereiten.

Schily illustrierte die von ihm angenommenen Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus mit Beispielen der Dokumentensicherheit: So seien bei 7.700 Untersuchungen von Ausweisen durch die deutschen Grenzbehörden im vergangenen Jahr mehr als 380 gefälschte Reisepässe gefunden worden. Derartige Fälschungen könnten mithilfe von biometrischen Pässen verhindert werden. Weitere Verwendungen für RFID- und biometrische Techniken seien fälschungssichere Dokumentenetiketten für Medikamente; außerdem die Überwachung des weltweiten Güterverkehrs, da Container als ferngezündete Bomben missbraucht werden könnten.

Der Verein acatech, Veranstalter des Symposiums, wurde 2002 gegründet und vereint, nach eigener Darstellung "erstmalig die technikwissenschaftlichen Aktivitäten der Akademien der Wissenschaften unter einem Dach". Mitglieder sind neben den Akadamien der Wissenschaften auch Universitäten, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und Privatunternehmen; der Verein finanziert sich durch Spenden aus der Wirtschaft. Joachim Milberg, ehemals Vorstandschef bei BMW und nun acatech-Präsident, formulierte in seinem Grußwort den Anspruch, die "unabhängige und anerkannte Institution in Deutschland zu werden, die für die Interessen der Technikwissenschaft eintritt". Ziel sei es, acatech zu einer Art "unabhängige Stabsstelle für technische Wissenschaft" zu machen.

Das Symposium beschäftigte sich vor allem mit dem Thema der so genannten "ambient intelligence", das heißt der Frage danach, wie Technologie die "Umgebungsintelligenz" steigern kann. Das geschehe etwa dadurch, dass sich Fahrzeuge miteinander verständigen oder eine Wohnumgebung weiß, welche Musik gespielt werden soll, wenn eine bestimmte Person den Raum betritt.

Friedemann Mattern, Informatiker von der ETH Zürich, stellte in seinem Vortrag die Frage nach dem persönlichen Nutzen und dem wirtschaftlichen Mehrwert der neuen Technologien. Einerseits mache "wearable computing" Menschen mächtiger: Wahrnehmungsmöglichkeiten der Umgebung würden erweitert, es schärfe die Sinne und mache Menschen sicherer. Doch eine vollständig vernetzte Umwelt werfe auch Fragen auf nach Selbstbestimmung, Privatsphäre und Persönlichkeitsschutz: "Der achtjährige Junge findet es vielleicht ganz gut, wenn sein Vater immer weiß, wo er sich aufhält", illustrierte Mattern diese Möglichkeiten, "aber ob die 14-jährige Tochter das ebenso sieht, ist eine andere Frage." Die so genannte "Location Privacy", also die Privatheit des Aufenthaltsorts, werde sehr bald ein Politikum werden. "Auch die Bombe, die einen RFID-Chip auslesen kann und explodiert, wenn eine entsprechende Person vorbeikommt, ist eine kontextsensitive Anwendung", hob Mattern die ambivalenten Möglichkeiten der Technologien hervor.

Weiterhin würden Gesellschaften abhängiger von einer korrekt funktionierenden Infrastruktur, da nur durch sie Sicherheit und Vertrauen in die Technik geschaffen werden könne. Auch wenn es um die Privatsphäre geht, sieht Mattern große Herausforderungen: "Die allgegenwärtigen Sensoren ermöglichen großräumige Abdeckung, unbemerkte Beobachtung, ein umfassendes Bild der Nutzer; außerdem vergisst die Technik nichts, weil Speicher billig und fast unbegrenzt ist - das schafft eine Welt, die wir nicht gewohnt sind." Das Internet habe nur die Computer der Welt vernetzt. Jetzt entstehe ein "Internet der Dinge", so Matterns Ausdruck, an den er seinen Appell anschloss: "Das sollte man nicht nur den Informatikern überlassen."

Autor: [von Matthias Spielkamp] (ji)

Quelle: Golem, 29.06.2005

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